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DE PROCESSIBUS MATRIMONIALIBUS

Fachzeitschrift zu Fragen des Kanonischen Ehe- und Prozeßrechtes

12. Band, Jahrgang 2005, S. 394-397

 

 Während heute Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe als reine Privatangelegenheit gilt, wurde in der frühneuzeitlichen Gesellschaft Sexualität als Teil des öffentlichen Lebens begriffen. Eine Trennung von öffentlich und privat war dieser Epoche fremd. Unzucht - darunter waren vorehelicher Geschlechtsverkehr und Ehebruch subsumiert - war seit 1526 ein Malefizdelikt, das ex officio, also von Amts wegen verfolgt wurde. Staat und Kirche engagierten sich sehr in der Bekämpfung der Normbrüche auf sexuellem Gebiet durch überaus komplexe Ordnungsprinzipien und der Ahndung der Vergehen mit hohen Strafen. Denn seit dem Konzil von Trient war und ist bis heute die Ehe der einzig legitime Ort der Ausübung von Sexualität. Zur treibenden Kraft bei der Verfolgung von Unzuchtsdelikten entwickelte sich das geistliche Konsistorium des jeweiligen Erzbischofs. „Diese Behörde, die bislang alle Hände damit zu tun gehabt hatte, um den eigenen Personalstab - die Vielzahl der sündigen Pfarrer, Vikare und Kapläne - zu disziplinieren, wandte sich nunmehr, nachdem dies weitgehend gelungen war, der Disziplinierung der Untertanen zu. Die Voraussetzung dafür lieferten die gründlichen Berichte der Seelsorger" (S. 239). Delinquente Verhaltensweisen störten ja nicht nur die Obrigkeit, sondern beleidigten auch Gott, der nach damaliger Vorstellung die Vergehen nicht nur dem Übeltäter als Einzelperson vergalt, sondern in Form von Seuchen, Hungersnöten, Krieg usw. ebenso der Gemeinschaft. Folglich diente die Verhinderung eines Normbruchs auch der Allgemeinheit. Eine verstärkte Sozialkontrolle sollte das nachhaltige Bemühen um eine Zurückdrängung der Sittlichkeitsdelikte abstützen und einen Mentalitätswandel in der Gesellschaft herbeiführen. Trotz umfassender Reglementierung blieben freilich Normbrüche an der Tagesordnung.

KLAMMER untersucht unter dem zeitgenössischen, auf die Ehre abzielenden negativen Terminus der Unzucht „in Unehren beschlaffen" anhand einer Fülle von Gerichtsakten des Pfleggerichts Moosham und des Hofgerichts Salzburg sowie anhand der Protokolle des Kommissariates Lungau, das unter der Führung eines Archidiakons stand, die intendierte geistig-moralische Veränderung und das Zusammenspiel des frühneuzeitlichen Staates und der Kirche „in sexualibus". Sein Umgang mit den Quellen ist sehr sorgfältig, neben quantitativen Methoden setzt er auch qualitative zu ihrer Interpretation ein. Die Studie folgt dem Ansatz der historischen Kriminalitätsforschung als einer neuen Teildisziplin der Geschichtswissenschaft. KLAMMER stellt dabei Unzucht in den „Analyserahmen von Norm, Sanktion und sozialer Kontrolle" (S. 9), ein Beziehungsgefüge, dessen Wirksamkeit er überprüfen will. Im Mittelpunkt steht die Frage, mit welchem Erfolg Erzbischof und Landesfürst damals ihre Normvorgaben durchsetzen konnten. KLAMMER spricht einerseits von einer „symbiotischen Beziehung" (S. 161) zwischen weltlicher und kirchlicher Obrigkeit, weil der Staat seine Kriminaljustiz jederzeit durch kirchliche Sanktionen „abrunden" konnte. Außerdem waren ja nicht nur alle Formen vor- und außerehelicher Sexualität durch neue Gesetze laiminalisiert, auch der Eheschließungsvorgang war vollständig unter Kontrolle geraten. Bestand kirchlicherseits schon seit dem Konzil von Trient die kanonische Form als einzig gültiger Eheabschluss, womit Konkubinat und klandestine Ehen bekämpft wurden, zog der Staat bald nach: Seit 1643 galten nur noch solche Beziehungen als legitim, die den elterlichen Konsens nachweisen konnten; und 1667 wurde schließlich die Zustimmung der weltlichen Obrigkeit zur Eheschließung zur Norm erhoben, um Heiraten von Armen und Besitzlosen zu unterbinden. KLAMMER schildert aber auch Konfliktsituationen zwischen dem staatlichen Pfleger und dem geistlichen Kommissar - z.B. ausgiebig den 50-jährigen Jurisdiktionsstreit zwischen dem Domkapitel in Salzburg als dem damaligen Grundherrn in Mauterndorf und dem landesfürstlichen Pfleggericht in Moosham (S. 180-210), bei dem es nicht nur um die ergiebige Einnahmequelle aus Ehebruchsfällen ging, oder das Verbot des Verlesens weltlicher Verordnungen von der Kanzel und die Verbannung des staatlichen Strafvollzugs aus dem unmittelbaren Bereich der Gotteshäuser und Friedhöfe. Manches davon blieb allerdings reine Absichtserklärung. Ehebruch und Fornikation waren damals typische res mixtae, bei denen der Arm des geistlichen Kommissars zur Wahrheitsfindung mitunter über die Handlungsmöglichkeiten des weltlichen Richters hinausging (u.a. in der beklagenswerten Instrumentalisierung von Beichtwissen). Man darf freilich nicht übersehen, dass sich die Kirchengerichte damals auch als starker Anwalt der um die Ehe betrogenen Frauen und der nichtehelichen Kinder erwiesen - in mehr als 40 Prozent der von KLAMMER aufgelisteten Verfahren vor dem geistlichen Gericht im Lungau ging es um den Nachweis der Vaterschaft und die Versorgung der Kinder.

In der ersten Hälfte, näherhin in den Kapiteln I.-IV. (S. 19-150), erhellt KLAMMER den Background seiner Studie. Delikte werden vorgestellt, Gerichtsstrukturen verdeutlicht, die Ambivalenz des damaligen Klerus vor Augen geführt (Priester und Zentralfigur der Disziplinierung), der Zusammenhang von Ökonomie bzw. der Sozialform des Hauses und delinquentem Verhalten beleuchtet. Hier erfährt man interessante Details z.B. über das damalige Erbsystem im Kontext der Eheversprechungsklagen, die Motive der Eheverweigerung nach einer Verlobung, den Kampf der Kirche gegen private Heiratsabsprachen, um den unter elterlicher Duldung erfolgten vorehelichen Geschlechtsverkehr zu unterbinden, die exakte Festlegung des monetären Wertes der Jungfräulichkeit usw.

Ab Kapitel V. wendet sich KLAMMER im zweiten Teil seiner Arbeit dem eigentlichen Thema zu, den „Geschlechtsbeziehungen vor Gericht" (S. 151). Der Autor weist nach, dass bereits im 16. Jahrhundert die Sittlichkeitsdelikte innerhalb der Gesamtkriminalität vor den Gewalt- und Eigentumsdelikten an der Spitze standen (S. 155). Ehebruch bildete das am häufigsten verfolgte Sittlichkeitsdelikt, wobei Frauen sich kaum passiver verhielten als Männer (S. 168f). Penibel ging die Obrigkeit allen Verdachtsfällen nach. Die aus den Akten entnommenen Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass sich auch Jahre nach der Tat niemand sicher fühlen konnte, denn dem Untersuchungsrichter stand ein Netz von teilweise anonymen Spitzeln und Informanten zur Verfügung. Die Vorgehensweise war stets die gleiche: Zuerst verhaftete man die Frau, unterzog sie der Inquisition und im Falle der Leugnung des Deliktes der Folter mit dem Daumenstock. Bestritt im Falle eines Geständnisses der Frau der danach verhaftete Mann das Delikt, wartete auf ihn die Tortur des Aufzugs. Erst als sich die Lebensverhältnisse der unteren Volksschichten um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert drastisch verschlechterten, rückten Eigentumsdelikte an die Spitze der verfolgten Verbrechen (Tabellen S. 211 u. 293). Interessant sind die Schilderungen KLAMMERS zur Vergewaltigung, die zeigen, wie schwer es die Opfer dieser Straftat schon damals hatten, Recht zu bekommen (S. 218-224).

In Kapitel VI. (S. 225-266) entfaltet KLAMMER die Arten der verhängten Strafen in Theorie und Praxis sowie die Bedeutung der Gnadenjustiz im frühneuzeitlichen Rechtswesen. Die Nichtbeachtung der Sittenordnung wurde mit Geld-, Schand- und Gefängnisstrafen sanktioniert, wobei Frauen ungleich häufiger von den genannten Ersatzstrafen betroffen waren, wenn sie die Geldbuße nicht erlegen konnten. Ihre Löhne waren nicht nur geringer, sondern vielfach auch die wenigen Mittel durch Schwangerschaft und Geburt aufgebraucht. Der ausschließlich sich in Männerhand befindliche Justizapparat scheute auch nicht davor zurück, Frauen durch verbale Schmähungen und Schimpfwörter zu erniedrigen. Die weibliche Ehre stand nicht hoch im Kurs, geriet doch die gesamte persönliche Integrität einer Frau sofort ins Zwielicht, wenn ihr sexuelle Verfehlungen auch nur zur Last gelegt werden konnten. Die Bezichtigung war dabei oft nur strategische Taktik zu ihrer Erniedrigung. Die Männer fürchteten freilich die öffentliche Schandstrafe noch mehr, weil diese ihre soziale Reputation zerstörte, „denn alle Welt war Zeuge der Kompromittierung" (S. 264). Abhilfe war möglich durch die Supplikation an den Landesherrn oder die Zahlung einer hohen Geldstrafe. KLAMMER fand auch regelrechte Strategien zur Verschleierung eines Unzuchtsdelikts und damit der Strafvereitelung, die er in Kapitel VII. (S. 267-292) offen legt. Sie reichten von der Flucht ins benachbarte Gerichtsterritorium oder Ausland über die Bestechung des Gerichtspersonals bis hin zur Abtreibung eines unehelichen Kindes und der Ermordung seiner Mutter oder des Neugeborenen. Laut Tabelle 15 (S. 280) war Kindsmord im Pfleggericht Moosham von 1588-1759 eines der häufigsten von Frauen verübten Verbrechen.

Unter der Überschrift „Devianz und Widerstand" zeigt KLAMMER im achten Kapitel (S. 293-316) Bedingungsfaktoren für die Entstehung von Kriminalität auf. Er berichtet z.B. einen Fall besonders maßloser Justiz, der als Diebstahlsprozess begonnen hatte, dann aber durch die unbeschränkte Anwendung der Folter schließlich in einem Hexenprozess - in diesem crimen exceptum waren alle Begrenzungen der „peinlichen Frage" der Carolina von 1532 außer Kraft gesetzt - geendet hat, der neun Menschen das Leben kostete (S. 296-298). Gerade dieses Beispiel „zeigt eindrucksvoll, wie sehr die Obrigkeit an der Schaffung von Verbrechen mitbeteiligt war. Sie allein bestimmte, wann der Tatbestand vorlag und wann die Normanwendung zu erfolgen hatte. Stammten die Delinquenten aus der untersten sozialen Schicht und konnte ihnen nachgewiesen werden, bereits andere Delikte begangen zu haben - vor allem Diebstahls und Unzuchtsdelikte - , dann fiel es der Obrigkeit leicht, ihnen auch noch das Hexereidelikt zu unterstellen" (S. 298). Aber auch Armut und Hunger haben zu kriminellen Handlungen geführt, wie KLAMMER anhand der Eigentumsdelikte nachweist.

Abschließend fragt KLAMMER in Kapitel IX. (S. 317-326) nach dem Erfolg der Disziplinierungsmaßnahmen von Staat und Kirche. Auch in Salzburg vollzog sich mit der Entkriminalisierung der Sittendelikte im neuen österreichischen Strafgesetzbuch von 1803 unwiderruflich die Trennung von privatem und öffentlichem Leben, der Staat zog sich aus dem Bereich der Moral zurück. Dass der Anteil der unehelich geborenen Kinder im Kommissariat Lungau zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf einem historischen Tiefpunkt von unter 10 Prozent angelangt war (und seither wieder ständig anstieg, wie die Graphik 6 auf S. 319 beweist), die damalige Geburtenrate jedoch einen später nie mehr erreichten Höchstwert von 50,4 Promille (Anzahl der Kinder pro 1000 Einwohner) aufweist, ist zweifelsohne auf die staatliche und kirchliche Disziplinierungspolitik zurückzuführen. Doch der Preis war hoch. Als nach der Entkriminalisierung von Fornikation und Ehebruch zu Beginn des 19. Jahrhunderts diese Delikte nicht mehr ex officio verfolgt wurden, trat das Gegenteil zur bisherigen Situation ein: Sie verschwanden fast ganz aus dem Blickwinkel, obgleich sie zur Alltagswirklichkeit auch des 19. Jahrhunderts gehörten.

Die Zusammenfassung (S. 327-331) bündelt knapp die wichtigsten Ergebnisse der Studie. Hilfreich zur Lektüre ist das Glossar (S. 333-335) sowie das daran angeschlossene Personenregister (S. 337-345). Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 347-359) beschließen die flüssig geschriebene Arbeit, bei der in formaler Hinsicht neben wenigen Orthographiefehlem lediglich zu bemängeln ist, dass die Überschrift S. 19 nicht mit der in der Gliederung übereinstimmt.

Zweifelsohne erhellt die Studie von KLAMMER eine Fülle von Zusammenhängen um das Phänomen Unzucht. Die Schlussfolgerungen des Autors sind durch die mit Beispielen aus den Akten unterlegten Fallgestaltungen gut nachzuvollziehen. Historisch Interessierte finden in dem Werk viele Informationen, für Lokalhistoriker des Lungau ist sie Pflichtlektüre. Aber auch Nichthistorikern sei die Arbeit empfohlen, sie werden sie mit Gewinn aus der Hand legen.

Andreas WEIß, Eichstätt